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"Bergpredigt". Acryl auf Leinwand, zweiteilig. Weitere Aufnahmen von Karola Onkens Bildern finden Sie nach einem Klick auf das Foto

9. April 2007

Ostern im Kreuz

1. Betrachtung. Wegweiser des Kreuzes

Uralt ist die Symbolik von Oben und Unten. Sie liegt ja in uns als Menschen, in unserem aufrechten Gang. Denn wir tragen den Kopf oben und die Körperteile – um es mit Paulus zu sagen –, „die uns am wenigsten ehrbar zu sein scheinen, die umkleiden wir mit besonderer Ehre“ unten. Das Helle des Geistes ist oben und das Dunkle der Materie unten. Was sich äußerlich in Himmel und Erde abbildet, das wiederholt sich in meinem Inneren.

Das Oben verbinde ich mit den klaren, guten Gedanken, den Idealen und Träumen. Denn sie steigen den Gasballons gleich in lichte Höhen. Gute Gedanken richten uns auf, erheben uns, ja verleiten uns zu Höhenflügen. Im Unten dagegen liegt – sein Name deutet es schon an – das Unterbewusste. Dorthin sinken die schweren Dinge des Lebens ab. Viele werden sogar mit Gewalt dorthin geschoben. Dazu gehört das persönlich Verdrängte, um dessen Aufdeckung Sigmund Freud sich so verdient gemacht hat. Starke negative Gefühle wie Hass und Zorn, schwer zu integrierende Triebe wie die Sexualität und belastende Erfahrungen im Leben sammeln sich dort. Aber auch das kollektive Unterbewusste, dessen Archetypen Carl Gustav Jung entdeckte, treibt dort sein Wesen in archaischen Gestalten von Drachen, Schlangen und anderen Fabelwesen. Das alles wird vom Bewusstsein in der Tiefe des Selbst verschlossen.

Aber damit beginnt genau die Spaltung des Menschen, seine Entfremdung von sich selbst. Ja, wir könnten sogar sagen: In dieser Spaltung liegt sein Kreuz! Denn sein Überbewusstsein, das zu himmlischen Höhen strebt, ist unvereinbar mit seinem Unterbewusstsein, dessen düstere Schwere in die Tiefe sinkt.

Wenn wir uns das Kreuz ansehen – Karola Onken nennt ihr Bild: „Das Kreuz als Wegweiser“ – dann entdecken wir etwas Ungewöhnliches: Die Schatten sinken nicht schwer hinab, sondern steigen am Kreuz hinauf. Es ist, als seien die Pforten der Tiefe und Hölle offen und das darin Verschlossene steigt dunklen Wolken gleich auf. Offensichtlich ist es die lichte Kraft des Kreuzes, die einen solchen Aufstieg möglich macht. Ja, je höher die dunklen Schwaden steigen, die auch Menschengestalten gleichen, desto mehr lösen sie sich auf wie Frühjahrsnebel im Licht der Sonne.

Wie ist es dem Kreuz möglich, das Dunkle und Schwere zum Aufsteigen zu bringen? Was bedeutet das Kreuz für die Schatten und Schandeflecke, die sich in einem Leben ansammeln? Wie können Verfehlungen und Schuld aufgehoben werden? Das Kreuz steht für das liebende Ja des Mannes, der – wie es im Johannesevangelium heißt – von sich sagt: „Niemand hat größere Liebe als die, dass einer sein Leben lässt für seine Freunde. Ihr seid meine Freunde...“ Eine solche Liebe nimmt alles an, was der eigene Verstand und das eigene Herz unerträglich finden und in der Tiefe verschließen will. Eine solche Liebe im Zeichen des Kreuezes macht aber auch das Schwere leicht, dass es aufsteigt und sich in ihrem hellen Scheinen wie Nebelwolken verflüchtigt. Ostern im Kreuz!

2. Gang nach Emmaus

Vielen ist diese Geschichte bekannt. Ja gegenwärtig wird sie zur Leitgeschichte der neuesten Erklärung, die der Lutherische Weltbund zur Mission herausgibt. Zwei Jünger gehen nach Emmaus. Auf ihrem Weg gesellt sich ein Dritter hinzu. Scheinbar weiß er nichts von den bitteren Ereignissen der letzten Tage. Sie erzählen es ihm. Ihr Herr und Meister sei unschuldig verurteilt worden und elend am Kreuz gestorben. Alle ihre Hoffnungen seien nun dahin. Der seltsame Fremde beginnt ihnen jedoch die heilige Schrift auszulegen. Dieser Jesus sei gar nicht gescheitert, sondern genau so müsse er zur Vollendung kommen. Staunend hören die Jünger dem Fremden zu. Erst beim Abendessen, als der das Brot bricht, erkennen sie ihn: Es ist der Herr! Doch dann entschwindet er vor ihren Augen. Soweit die biblische Geschichte.

Doch was sehen wir auf dem Bild von Karola Onken? Ganz anderes als das Auge der Phantasie sich vor Augen malt, wenn es den Spuren der Geschichte folgt. Denn auf dem Bild ist nichts davon zu merken, dass es in der Geschichte Abend wird. Nein, im Gegenteil, da gehen zwei Menschen in die aufgehende Sonne hinein. Die Helle glendet, die uns aus der Bildmitte entgegenleuchtet. Und noch ein zweites: Der dritte Mann, jener eigenartige Fremde, der mit den beiden Jüngern unterwegs ist – er fehlt! Künstlerische Freiheit – Phantasiereise des Glaubens? Versuchen wir, dem nachzuspüren, was der Pinsel in Form und Farbe brachte.

Es ist ja immer noch so, dass Menschen unterwegs sind in Fragen des Glaubens. Sie sind unterwegs voller Fragen und Zweifel, wie damals die zwei Jünger. Auch wir sind nicht allein. Denn der Glaube vermittelt sich über Menschen auf dem Lebensweg. Bis heute gibt es also solche Weggemeinschaften. Wenn zwei Menschen über das Leben austauschen, wiederholt sich der Gang von Jerusalem nach Emmaus. Doch wo ist Jesus? Wie ist er heute gegenwärtig? Er ist im Licht! Indem zwei Menschen miteinander das Schwere hin- und herbewegen, ist er mitten unter ihnen in den Momenten der Einsicht und Erleuchtung. Wieder ist es das Licht, das zum Symbol für den lebendigen Gott wird: Ostern im Kreuz!

Kaiser Konstantin, als er noch Heide war, erklärte 321 den Sonntag, den Tag der unbesiegbaren Sonne, des höchsten römischen Gottes, zum ersten Tag der Woche. Als das Christentum Staatsreligion wurde, hat es daran nicht gerüttelt. Aber es hat die Sonne mit dem auferstehenden Christus verbunden. So, als gleißendes Licht der Sonne ist er dabei und begleitet die Weggemeinschaft. Wer der Sonne entgegengeht, der kommt aus der Finsternis. Das wollen wir nicht vergessen. Und deswegen heißt ja diese Ausstellung: Ostern im Kreuz. Doch gibt es nur eine Richtung für ein Leben im Glauben: aus dem Dunklen und Rauhen der Sonne entgegen: „Die Sonne, die mir lachet, ist mein Herr Jesus Christ, das, was mich singen machet, ist was im Himmel ist.“ So Paul Gerhardt in vierhundertsten Jahr seines Geburtstags!

3. Weiterwachsen

Seit uralten Zeiten ist das Holz des Paradieses und das Holz des Kreuzes zusammengesehen worden. Und schon in der mittelalterlichen Kunst wachsen das Kreuz Christi und der Lebensbaum des Paradieses zusammen. So auch in diesem Bild von Karola Onken. Als ich es sah, begann ich innerlich ein modernes Lied zu summen, das von einem Juden – Schalom Ben-Chorin 1981 – gedichtet wurde von einem Christen – Fritz Baltruweit – vertont wurde:

„Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt?

Dass das Leben nicht verging, soviel Blut auch schreit, achtet dieses nicht gering in der trübsten Zeit.

Tausende zerstampft der Krieg, eine Welt vergeht. Doch des Lebens Blütensieg leicht im Winde weht.

Freunde, dass der Mandelzweig, sich in Blüten wiegt, bleibe uns ein Fingerzeig, wie das Leben siegt.“

Alt ist das Bild von dem frischen Zweig, der aus dem abgehauenen Stamm von neuem Blüten treibt. Es reicht bis in die prophetische Tradition des Alten Testaments zurück. Es wird ein Reis – ein frischer Spross – aus dem toten Stamm Isais hervorgehen. Wer kennt nicht auch das Adventslied: „Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart, wie schon die Alten sungen, von Jesse war die Art...“1 Der Kreuzesbaum wird zum Lebensbaum. Aus dem toten Holz entspringt neues Leben: Ostern im Kreuz


Die Farben des Bildes kann man verschieden deuten: Das Blau könnte für Treue stehen. So die Deutung der Künstlerin selbst. Ich will es als Blau der Kälte deuten, des Eises und des Winters, aus dem die Frühlingssonne die ersten Zweige des Mandelbaums hervorlockt. Inmitten der Kälte ist in roter Farbe ein Mensch gemalt. Rot wie das Feuer, die Wärme, das Leben. Für ihn, diesen Menschen, wird die Kälte der Rationalität, des Urteilens und Besserwissens aufgehoben. Im Blühen des Mandelzweigs zeigt sich das neue Leben, das ihm die nötige Wärme geben wird. Sie strahlt auch in diesem Bild wieder im Licht auf, das hinter dem Kreuz wie die Sonne aufgeht.

Noch ein Letztes: Klein, ja winzig ist der Mensch im Zeichen des Kreuzes. Ob darin auch etwas Tröstliches liegt? Die Natur und ihr Wiedererwachen in neuem Blühen ist das Größere, das Bergende, in das wir als Menschen hineingenommen sind

Abschluss:

Joh 12, 24: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“ Wohl keiner hat den Zusammenhang von Leben und Tod, von Kreuz und Auferstehung inniger erfasst als der Evangelist Johannes, der nicht umsonst mit dem Lieblingsjünger in Verbindung gebracht wird. Ohne den Tod des Alten könnte das Neue gar nicht aufwachsen. Das Kreuz also ist nicht nur ein Justizirrtum, nicht nur ein dunkles Mahnmahl menschlicher Verfehlungen und menschlichen Versagens, sondern zeugt von der Notwendigkeit, dass das Neue nur durch das Sterben des Alten hindurch in die Freiheit gelangt. Deswegen, wenn es heißt, Ostern im Kreuz: Wo erfahre ich das Sterben. Wo umgeben mit die Schalen erstorbener Träume? Da genau ist das Samenkorn zu finden, das schon längst zu neuem Leben emporwächst!

1 Jes 11,1 Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. 2 Auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN. 3 Und Wohlgefallen wird er haben an der Furcht des HERRN. Er wird nicht richten nach dem, was seine Augen sehen, noch Urteil sprechen nach dem, was seine Ohren hören, 4 sondern wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande, und er wird mit dem Stabe seines Mundes den Gewalttätigen schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten. 5 Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und die Treue der Gurt seiner Hüften. 6 Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. 7 Kühe und Bären werden zusammen weiden, daß ihre Jungen beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder. 8 Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter. 9 Man wird nirgends Sünde tun noch freveln auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land wird voll Erkenntnis des HERRN sein, wie Wasser das Meer bedeckt. 10 Und es wird geschehen zu der Zeit, daß das Reis aus der Wurzel Isais dasteht als Zeichen für die Völker. Nach ihm werden die Heiden fragen, und die Stätte, da er wohnt, wird herrlich sein.

Von /LHH/Dr. Georg Gremels

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